Nottingham Forest: Der wildeste Klub auf dem Transfermarkt

Nottingham Forest ist kein Aufsteiger wie jeder andere. Der Klub tauschte mit einem deutschen Kaderplaner fast das gesamte Team aus. Kann das gut gehen?Der 29. Mai 2022 war ein Feiertag für Nottingham Forest. Nach 23 langen Jahren, inklusive Absturz in die dritte Liga, schaffte der Traditionsverein die Rückkehr in die Premier League.Dort, in Englands höchster Spielklasse, will Forest mit aller Macht bleiben und im besten Fall sogar an glorreiche Europapokal-Zeiten anknüpfen. Die sind auch verbunden mit den Namen deutscher Traditionsklubs. So lieferte sich Nottingham 1979 ein spektakuläres Halbfinale gegen den 1. FC Köln im Europapokal der Landesmeister. Köln verlor, Nottingham gewann den Wettbewerb. Ebenso wie im Jahr darauf, als der Klub aus England den Hamburger SV mit 1:0 im Finale bezwang und seinen Titel verteidigte. Damals zählte Forest zur internationalen Fußball-Elite. Die "Tricky Trees", so der Spitzname wegen eines Baumes im Wappen, sind kein gewöhnlicher Klub. Nicht nur, weil sie in ganz Europa der einzige Verein sind, der öfter die Champions League gewann als die nationale Meisterschaft. Dass ein Aufsteiger mehr Geld auf dem Transfermarkt ausgibt als der Meister oder der Vizemeister? In der Bundesliga unvorstellbar, in England gelebte Praxis.Mehr Ausgaben als Manchester City und LiverpoolMöglich machen es die finanzkräftigen Investoren – zumeist gleichzeitig die Klubbesitzer – und die immensen TV-Gelder, die alle Erstliga-Klubs in dreistelliger Millionenhöhe pro Saison einstreichen. So gab Nottingham in der am Donnerstag beendeten Transferphase unglaubliche 160 Millionen Euro für Neuzugänge aus. Das schafften nicht einmal die Großklubs Manchester City (rund 140 Mio.), Arsenal (132 Mio.) und FC Liverpool (90 Mio.).Satte 21 neue Spieler kamen dafür. Und wenn der Deal mit dem Ex-Dortmunder Michy Batshuayi am letzten Transfertag nicht an fehlenden Unterlagen gescheitert wäre, wären es sogar 22 Neuzugänge gewesen – zwei komplette Mannschaften in nur einer Transferperiode. Der teuerste Zugang: Morgan Gibbs-White, für den man 29,5 Millionen an Ligarivale Wolverhampton zahlte. Auf der Einnahmeseite stehen ganze sieben Millionen Euro bei 17 Abgängen. Die Hüter des Financial Fair Plays dürften hier aufschrecken.Überhaupt nur vier Vereine auf der Welt gaben mehr Geld für Spielerablösen aus als der Aufsteiger. Wenig überraschend sind das mit Chelsea, Manchester United, West Ham und Tottenham allesamt Premier-League-Klubs.Vor allem in der Bundesliga schlug Nottingham zu: Taiwo Awoniyi (20,5 Mio./Union), Orel Mangala (13 Mio./Stuttgart), Moussa Niakhaté (10 Mio./Mainz) sowie Omar Richards (8,5 Mio./FC Bayern) schlossen sich dem Team von Trainer Steve Cooper an.Doch woher kommt das viele Geld? Von Evangelos Marinakis. Einem 55 Jahre alten, fußballverrückten Griechen, der neben Nottingham mit Olympiakos Piräus noch einen weiteren Profiklub besitzt. Er machte sein Vermögen, das auf über 700 Millionen Euro geschätzt wird, als Reeder in der Schifffahrt. 2017 kaufte er Forest (Summe wurde nicht bekannt) und will den Klub mit seinem Geld nun in der Premier League etablieren. Wie es scheint, um jeden Preis.Marinakis: "Nottingham gehört in die Elite der Premier League"Bei seiner Vorstellung vor fünf Jahren sagte Marinakis: "Ich mache keine Versprechen, ich liefere." Das hat er mit dem Aufstieg getan. Fürs Erste. Denn der Grieche will mehr: "Wir haben einen langfristigen Plan und in dessen Rahmen wollen wir Nottingham dahin bringen, wo es hingehört. Und natürlich gehört Nottingham in die Premier League. Und Nottingham gehört in die Elite der Premier League."Der Mann, der die Millionen ausgibt und die beispiellose Personalpolitik umsetzt, ist ein Deutscher, den man hierzulande kaum kennt: George Syrianos. Der erst 32-Jährige stammt aus Starnberg, war bis Sommer 2021 Chefanalytiker beim VfB Stuttgart. Dann folgte er dem Ruf aus Nottingham, wurde zum Kaderplaner beim damaligen Zweitligisten. Mit dem Klub aus der 300.000-Einwohnerstadt in den East Midlands schaffte Syrianos in seinem ersten Jahr direkt den Aufstieg. Nun heißt das Ziel Klassenerhalt in der finanzstärksten Liga des Planeten.Und dafür geht man ganz eigene Wege. Syrianos hat ein eigens installiertes Transferkomitee, trifft keine Entscheidung über eine Verpflichtung allein. In einem Interview mit "Transfermarkt" sprach er über sein ambitioniertes Vorhaben mit Forest: "Auch wenn es vielleicht utopisch klingt, aber wir wollen es schaffen, dass selbst mit einem abgeklebten Logo und einem beliebig farbigen Trikot die Fans oder Zuschauer sagen, das da unten, das ist Nottingham Forest, so spielt nur Nottingham."Und weiter: "Ziel ist es, ein junges Team aufzubauen, das über einen langfristigen Zeitraum zusammen besteht, mit dem sich vor allem die Fans identifizieren können.“Ernüchternder SaisonstartFakt ist: Von vielen Aufstiegshelden, die mit dem Klub die historische Premier-League-Rückkehr schafften und somit automatisch zu Identifikationsfiguren taugen, mussten sich die Fans verabschieden. Aus der Startelf vom entscheidenden Playoff-Spiel gegen Huddersfield Town Ende Mai waren im ersten Ligaspiel nach dem Aufstieg noch vier Akteure übrig geblieben.Die Neuen haben eine Liga höher noch nicht Fuß gefasst. Wie auch, muss sich der zusammengewürfelte Kader erst einmal aufeinander einstellen. Aus den ersten fünf Spielen sprangen vier Punkte und zwei Tore heraus – Platz 15 mit dem zweitschlechtesten Torverhältnis aller 20 Teams. Aber: Bislang waren auch noch nicht alle Neuzugänge dabei.Es wird sich zeigen, ob die waghalsige Personalstrategie langfristig den gewünschten Erfolg bringt. In Sachen Transferausgaben hat sich Forest bereits in die Riege der Spitzenklubs eingereiht. Dort, wo Marinakis hin will. Eine Garantie, dass dies auch auf dem Spielfeld passiert, ist das aber wahrlich nicht.