Der deutsche Rekordmeister steht vor der Verpflichtung eines neuen Trainers. Kritik an Vincent Kompany ist fehl am Platz – denn ein Star-Coach nahm einen ähnlichen Weg, meint Stefan Effenberg. Ich habe selten ein Finale gesehen, in dem es einen verdienteren Sieger gab, als in diesem Europa-League-Endspiel am Mittwoch. Denn Atalanta Bergamo ist ein absolut würdiger Champion. Und ich muss es ehrlich sagen: Ich war nach dem 0:3 in Dublin nicht nur verwundert, sondern auch enttäuscht von Bayer Leverkusen . Da habe ich einfach viel mehr erwartet. Das war nämlich nicht das Bayer Leverkusen, wie wir es aus dem bisherigen Saisonverlauf kannten. Viele haben gedacht, Atalanta Bergamo wäre ein Selbstläufer – aber dabei vergessen, dass sich die Mannschaft von Trainer Gian Piero Gasperini schon in den Runden zuvor klar gegen den FC Liverpool oder Olympique Marseille durchgesetzt hatte. Das musst du erst mal schaffen. Und gegen diese unbequeme Mannschaft konnte Leverkusen in keiner Minute des Endspiels das abrufen, was sie schon so oft in dieser Spielzeit, in diesen 51 Spielen zuvor, gezeigt haben. Ich muss auch sagen, dass ich von Xabi Alonsos Aufstellung ein wenig irritiert war. In diesem so wichtigen Spiel so zu rotieren – das hat mich verwundert. Das hat Alonso zwar schon oft in der abgelaufenen Saison gemacht – und das stets erfolgreich –, aber irgendwann klappt das eben nicht mehr so perfekt. Bitter nur, dass es ausgerechnet gestern so weit war. Vorne hat Bayer einfach dieser Stürmer gefehlt, von denen sie gleich zwei auf der Bank hatten. Alonso wollte mehr auf Tempo gehen, was oft funktioniert hat. Aber gegen so eine italienische Mannschaft brauchst du auch eine extreme Robustheit. Denn Bergamo war physisch das stärkste Team in der Europa League. Und da waren dann Florian Wirtz und Leverkusens andere Offensivkräfte wie Jeremie Frimpong oder Amine Adli, die bisher oft den Unterschied ausgemacht haben, nicht zu sehen. Dieses Feine, Kreative, damit ist Leverkusen gegen Atalanta nicht durchgekommen. Wenn du in 90 Minuten keine einzige echte Torchance hast, und das als torgefährlichste Mannschaft der Bundesliga – das war einfach zu dünn. Vielleicht ist es so einfacher Dass die Spieler, auch Trainer Alonso und Geschäftsführer Fernando Carro nach der Partie dann so gefasst wirkten in ihren Reaktionen (mehr dazu lesen Sie hier ), hat mich nicht überrascht – denn die Situation hat etwas anderes nicht hergegeben. Am Samstag steht mit dem DFB-Pokal-Finale nämlich bereits das nächste Entscheidungsspiel an. Das sind jetzt psychologische Spielchen der Leverkusener, und das ist auch richtig so. Sie dürfen jetzt gar nicht in eine detaillierte Analyse gehen, sondern müssen diese Niederlage einfach nur schnell abhaken – auch wenn das natürlich extrem wehtut. Denn zwar hat sich Bayer fast schon unsterblich gemacht durch diese Saison, aber wenn sie dazu noch zum ersten Mal nach 1988 wieder einen Titel in Europa geholt hätten, dazu noch ungeschlagen – damit wären sie wirklich in die Geschichte eingegangen. Jetzt muss man stattdessen auf eine auch in ihrer Deutlichkeit absolut verdiente Niederlage zurückblicken. Meine These: Vielleicht ist es so aber sogar einfacher, als wenn die Partie bis zur letzten Sekunde auf Messers Schneide gestanden hätte. Ich sage das aus eigener Erfahrung: Im Champions-League-Finale mit den Bayern 1999 hatten wir schon anderthalb Hände am Pokal – und verloren das Spiel noch. Und was passierte wenige Tage später? Da verloren wir dann auch noch das DFB-Pokalfinale gegen Werder Bremen . Da sieht man, was so eine Niederlage mit Spielern machen kann. Natürlich ist Leverkusen am Samstag in Berlin trotzdem gegen den 1. FC Kaiserslautern der Favorit. Aber trotzdem, trotz aller Psychologie, könnte das 0:3 jetzt in den Köpfen der Spieler stecken. Sie stehen im nächsten Finale, dieses Mal gegen einen wirklichen Underdog – die haben aber nichts zu verlieren. Lauterns Trainer Friedhelm Funkel wird es auch gesehen haben: Du musst Granit Xhaka einen Spieler auf die Füße stellen, und du musst Wirtz einen Spieler auf die Füße stellen. Sie müssen das Gefühl bekommen, nicht im Spiel zu sein, nicht den Rhythmus bestimmen zu können. Das hat Bergamo geschafft, und das wird Funkel erkannt haben. Einfach wird das also nicht. Und genau das könnte es für Bayer jetzt gefährlich machen. Ich lege mich fest: Robert Andrich wird wieder spielen, vorne wird auch wieder ein richtiger Stürmer in der Startelf stehen, ob Boniface oder Patrick Schick. Alonso wird zur Erkenntnis kommen, dass er zwei, drei, vier Leute von der Bank bringen muss, neu, frisch, die so gallig sind, weil sie am Mittwoch nicht gespielt haben, und es dann im Pokalfinale zeigen wollen. Das Europa-League-Endspiel wird für Alonso und sein Trainerteam eine Lehre gewesen sein. Ein Pep 2.0? Einen neuen Trainer hat indes offenbar endlich der FC Bayern gefunden. Ich sage es ganz offen: Für mich macht Vincent Kompany als neuer Bayern-Trainer Sinn. Warum denn auch nicht? Er ist erst 38 Jahre alt, unverbraucht, bringt sicher ein gutes Team mit, er hat jahrelang bei Manchester City gespielt, hat alles gesehen – und: Er spricht die Sprachen der Spieler, was ich für unerlässlich halte, besonders beim FC Bayern. Und noch etwas zu Kompany: Ja, er käme von einem Premier-League-Absteiger. Aber andersherum gibt es ja auch keine Garantie, dass es mit einem vermeintlichen Erfolgstrainer auch gut läuft – das hat man beim FC Bayern in den letzten Jahren zur Genüge gesehen. Und übrigens: Auch der ursprüngliche Bayern-Wunschtrainer Alonso hatte mit der zweiten Mannschaft von Real Sociedad kein Glück, konnte den Abstieg nicht verhindern, ehe ihm Leverkusen die Chance gab – und er sie nutzte. Alonso übernahm Bayer auf Platz 17 und führte sie nach oben. Das sagt doch alles darüber aus, was ein erfolgreicher ehemaliger Spieler als junger und hungriger Trainer schnell bewirken kann – und wozu er fähig ist, wenn alles passt. Das war bei Alonso und Leverkusen der Fall. Vielleicht wird Kompany bei den Bayern ja wirklich ein Pep Guardiola 2.0. Es liegt sowieso auch zu einem großen Teil an der Mannschaft selbst, ob es klappt. Ein Beispiel: Union Berlin . Die haben die Champions League erreicht, aber plötzlich stimmte einfach die Balance innerhalb des Kaders nicht mehr – was dann auch ein wesentlicher Grund für den Absturz des Klubs war. Daher muss vor Saisonstart auch an die Ehre der Bayern-Spieler appelliert werden. Ihnen muss klargemacht werden, dass sie in jedem Spiel hundert Prozent abrufen müssen – das müssen sie endlich kapieren. Nur so kann es wieder eine erfolgreiche Saison für die Bayern werden – mit Kompany. Ich glaube auch, dass bei den Bayern ein Umdenken einsetzt, was die Geduld mit den Trainern angeht. In den nächsten ein, zwei Jahren wird ein Umbruch im Team erfolgen – den schaffst du nicht in kurzer Zeit. Und da muss dann auch der Trainer von der Chefetage anders geschützt werden. Denn: Nach sechs, sieben, acht Wochen, in denen es vielleicht noch nicht so läuft, direkt draufzuhauen – das dürfen sich die Bayern nicht mehr erlauben. Das darf nicht sein. Das gilt auch für den Umgang mit den Spielern: Wenn du alle zwei, drei Wochen ein Interview mit Kritik vom Klubchef liest, dann ist das natürlich nicht leistungsfördernd. Da appelliere ich auch an die Vernunft der Klubführung. Wenn die Verantwortlichen aus der Vergangenheit gelernt haben und nicht permanent Druck ausüben – denn Druck ist beim FC Bayern auch so immer da –, dann kann das funktionieren. Sie müssen jetzt endlich wissen, was sie zu tun haben, um wieder zurück zum Erfolg zu kommen.